Silent Service oder Der 9. November 1989
Verfasst: 09.11.2013 21:58
Silent Service oder Der 9. November 1989
Gedanken zu einer deutschen Vergangenheit
Ich werde 1967 geboren in West-Berlin, wachse auf in Zehlendorf am Teltower Damm, schraeg gegenueber der John-F-Kennedy-Schule. Der Namen der Schule als auch der der Strasse sagt mir als Kind nichts. Fuer mich ist alles selbstverstaendlich. Sowohl die Schule, als auch der Name der Strasse. Als ich Fahrradfahren lerne merke ich bald, das ich nur bis zum Teltowkanal radeln kann, ueber die Bruecke des Teltowkanals darf ich nicht. Verstehe ich damals natuerlich nicht. Auch nicht, warum auf der anderen Seite des Kanals eine graue Mauer steht, vor der oft coole offene Trabbis fahren? Und was sind das fuer grosse Tuerme auf der anderen Seite?
Aber meine ersten Fragen an meine Eltern sind wirklich: Wieso geht es hier nicht weiter? Was ist drueben am anderen Ufer? Man kann doch jede Bruecke ueberqueren ohne darueber nachzudenken, weshalb geht es hier nicht?
Und warum dauert es eine Ewigkeit, bis wir meine „grossen“ Oma und Opa besuchen koennen, waerend es zu meinen „kleinen“ Grosseltern nur ein paar Minuten dauert? Die Eltern meiner Mutter wohnen in Bad Muskau an der Neisse, die meines Vatis in Lankwitz in West-Berlin.
Ich habe Freunde und Freundinnen in Lankwitz, und in Bad Muskau. Die Sommerferien habe ich immer an der Neisse verbracht. Ganz dunkel erinnere ich mich daran, das wir bei den grossen Grosseltern immer erstmal zur Polizei muessen.
Warum, das erschliesst sich mir nicht. Ich bin nur froh und gluecklich, meine Freunde und Freundinnen wiederzusehen um mit ihnen spielen zu koennen. Oder mit dem grossen Opa zur Neisse zu gehen zum angeln.
Ich erinnere mich an die leckeren Krapfen in Bad Muskau, die 20 Groschen kosten. Etwas irriterend, denn 20 Groschen sind fuer mich normalerweise viel mehr. Oder ich erinnere mich an die Spielzeuggeschaefte, wo es tolle Autos, LKW, und H0-Waggons zu kaufen gibt.
Mit vielleicht 10 Jahren irritert mich ein „Wir spielen Soldaten“ mit meinem Freund, denn er 'erkennt' den Feind im Wald, auf den wir schiessen muessen: Da sind die Amis, schiess! Die Amis rollen und fahren staendig durch Westberlin, und sind meine Freunde, weshalb soll ich also auf sie schiessen?! Da kommt mir die ganze Sache irgendwie merkwuerdig vor, und ich denke heute noch oft darueber nach... Wir waren Kinder, und mein Freund will auf Amis schiessen. Die mit ihren Panzern ueber den Teltower Damm rollen, Kaugummis an uns verteilen, die meine Freunde sind? Mit denen ich aufgewachsen bin.
Am 9. November 1989 sitze ich in Berlin Schoeneberg in der WG eines guten Freundes. Wir spielen schon seit Stunden ein Computerspiel auf einem Amiga-Rechner. „Silent Service“, ein U-Boot-Spiel. Es geht um Feindfahrt gegen die Briten und die Versorgungskonvois. Anschleichen, auftauchen, Ziel erfassen, Torpedos los!, versenken, abtauchen. Wir sind auf Acid, Zeit und Raum sind relativ, da oeffnet sich die Tuer zum Zimmer meines Kumpels und seine Mitbewohnerin bruellt uns fast an: „Die Mauer ist gefallen!“ Wir nehmen sie zwar zur Kenntnis, aber auch nicht wirklich ernst. Fuer uns ein unmoeglicher Gedanke, das ploetzlich Leute aus der Zone nach Westberlin kommen. Hoechstens als Okkupanten und Angreifer, also spielen wir weiter.
Stunden spaeter haben wir unsere Feindfahrt gewonnen, und ich mache mich zu Fuss auf den Heimweg, damals lebte ich auch in Schoeneberg, normal sind zu Fuss von meinem Kumpel bis zu meiner Wohnung 20 Minuten.
Wie gesagt, ich bin auf LSD. Der Weg zu meiner Wohnung ist einfach, aber irgendetwas kommt mir merkwuerdig vor. Auf einem Trip nicht ungewoehnlich, klar. Aber es fahren Trabbis und Wartburgs durch die Strassen? Leute stehen mit Rotkaeppchen-Sektflaschen an Telefonzellen und feiern? Sprechen mich an, ob ich Kleingeld habe zum Telefonieren, und das Mitten in der Nacht...
Langsam begreife ich, das das alles mit der Aussage der Mitbewohnerin meines Kumpels in Zusammenhang steht, und die OstberlinerInnen ploetzlich in Westberlin sind. Die paar D-Mark in meiner Hosentasche tausche ich gerne gegen einen Schluck aus der freudig gereichten Rotkaeppchensektpulle, wundere mich ueber Umarmungen und spontane Kuesschen. In der Nacht bin ich alkoholtechnisch stocknuechtern, denn LSD und Alk vertragen sich nicht. Waerend unserer 8-stuendigen Feindfahrt gegen britische Versorgungsverbaende habe ich genau ein Bier getrunken, ansonsten nur Kaffee und Wasser. Und reichlich Hasch geraucht.
Ploetzlich stehen die Ossis auf der Matte, mitten in Schoeneberg. Ich bin drauf wie Schmitz's Katze, aber damit koenne die 'Nachbarn' natuerlich nichts anfangen. Zum Glueck bin ich auf der Droge immer sehr konzentriert und schnalle noch, was um mich herum passiert. Aber es war trotzdem der kurioseste Trip meines Lebens (einige spaeter mal ausgenommen). Werde ich nie vergessen, diesen 9. November 1989.
Chock dii, hello_farang
Gedanken zu einer deutschen Vergangenheit
Ich werde 1967 geboren in West-Berlin, wachse auf in Zehlendorf am Teltower Damm, schraeg gegenueber der John-F-Kennedy-Schule. Der Namen der Schule als auch der der Strasse sagt mir als Kind nichts. Fuer mich ist alles selbstverstaendlich. Sowohl die Schule, als auch der Name der Strasse. Als ich Fahrradfahren lerne merke ich bald, das ich nur bis zum Teltowkanal radeln kann, ueber die Bruecke des Teltowkanals darf ich nicht. Verstehe ich damals natuerlich nicht. Auch nicht, warum auf der anderen Seite des Kanals eine graue Mauer steht, vor der oft coole offene Trabbis fahren? Und was sind das fuer grosse Tuerme auf der anderen Seite?
Aber meine ersten Fragen an meine Eltern sind wirklich: Wieso geht es hier nicht weiter? Was ist drueben am anderen Ufer? Man kann doch jede Bruecke ueberqueren ohne darueber nachzudenken, weshalb geht es hier nicht?
Und warum dauert es eine Ewigkeit, bis wir meine „grossen“ Oma und Opa besuchen koennen, waerend es zu meinen „kleinen“ Grosseltern nur ein paar Minuten dauert? Die Eltern meiner Mutter wohnen in Bad Muskau an der Neisse, die meines Vatis in Lankwitz in West-Berlin.
Ich habe Freunde und Freundinnen in Lankwitz, und in Bad Muskau. Die Sommerferien habe ich immer an der Neisse verbracht. Ganz dunkel erinnere ich mich daran, das wir bei den grossen Grosseltern immer erstmal zur Polizei muessen.
Warum, das erschliesst sich mir nicht. Ich bin nur froh und gluecklich, meine Freunde und Freundinnen wiederzusehen um mit ihnen spielen zu koennen. Oder mit dem grossen Opa zur Neisse zu gehen zum angeln.
Ich erinnere mich an die leckeren Krapfen in Bad Muskau, die 20 Groschen kosten. Etwas irriterend, denn 20 Groschen sind fuer mich normalerweise viel mehr. Oder ich erinnere mich an die Spielzeuggeschaefte, wo es tolle Autos, LKW, und H0-Waggons zu kaufen gibt.
Mit vielleicht 10 Jahren irritert mich ein „Wir spielen Soldaten“ mit meinem Freund, denn er 'erkennt' den Feind im Wald, auf den wir schiessen muessen: Da sind die Amis, schiess! Die Amis rollen und fahren staendig durch Westberlin, und sind meine Freunde, weshalb soll ich also auf sie schiessen?! Da kommt mir die ganze Sache irgendwie merkwuerdig vor, und ich denke heute noch oft darueber nach... Wir waren Kinder, und mein Freund will auf Amis schiessen. Die mit ihren Panzern ueber den Teltower Damm rollen, Kaugummis an uns verteilen, die meine Freunde sind? Mit denen ich aufgewachsen bin.
Am 9. November 1989 sitze ich in Berlin Schoeneberg in der WG eines guten Freundes. Wir spielen schon seit Stunden ein Computerspiel auf einem Amiga-Rechner. „Silent Service“, ein U-Boot-Spiel. Es geht um Feindfahrt gegen die Briten und die Versorgungskonvois. Anschleichen, auftauchen, Ziel erfassen, Torpedos los!, versenken, abtauchen. Wir sind auf Acid, Zeit und Raum sind relativ, da oeffnet sich die Tuer zum Zimmer meines Kumpels und seine Mitbewohnerin bruellt uns fast an: „Die Mauer ist gefallen!“ Wir nehmen sie zwar zur Kenntnis, aber auch nicht wirklich ernst. Fuer uns ein unmoeglicher Gedanke, das ploetzlich Leute aus der Zone nach Westberlin kommen. Hoechstens als Okkupanten und Angreifer, also spielen wir weiter.
Stunden spaeter haben wir unsere Feindfahrt gewonnen, und ich mache mich zu Fuss auf den Heimweg, damals lebte ich auch in Schoeneberg, normal sind zu Fuss von meinem Kumpel bis zu meiner Wohnung 20 Minuten.
Wie gesagt, ich bin auf LSD. Der Weg zu meiner Wohnung ist einfach, aber irgendetwas kommt mir merkwuerdig vor. Auf einem Trip nicht ungewoehnlich, klar. Aber es fahren Trabbis und Wartburgs durch die Strassen? Leute stehen mit Rotkaeppchen-Sektflaschen an Telefonzellen und feiern? Sprechen mich an, ob ich Kleingeld habe zum Telefonieren, und das Mitten in der Nacht...
Langsam begreife ich, das das alles mit der Aussage der Mitbewohnerin meines Kumpels in Zusammenhang steht, und die OstberlinerInnen ploetzlich in Westberlin sind. Die paar D-Mark in meiner Hosentasche tausche ich gerne gegen einen Schluck aus der freudig gereichten Rotkaeppchensektpulle, wundere mich ueber Umarmungen und spontane Kuesschen. In der Nacht bin ich alkoholtechnisch stocknuechtern, denn LSD und Alk vertragen sich nicht. Waerend unserer 8-stuendigen Feindfahrt gegen britische Versorgungsverbaende habe ich genau ein Bier getrunken, ansonsten nur Kaffee und Wasser. Und reichlich Hasch geraucht.
Ploetzlich stehen die Ossis auf der Matte, mitten in Schoeneberg. Ich bin drauf wie Schmitz's Katze, aber damit koenne die 'Nachbarn' natuerlich nichts anfangen. Zum Glueck bin ich auf der Droge immer sehr konzentriert und schnalle noch, was um mich herum passiert. Aber es war trotzdem der kurioseste Trip meines Lebens (einige spaeter mal ausgenommen). Werde ich nie vergessen, diesen 9. November 1989.
Chock dii, hello_farang