Luxus Kernkraft
Von Subventionen bis Abriss: Was Atomenergie kostet
von Stefan Lehmacher
Mehr als 200 Milliarden Euro hat die Förderung der Atomenergie gekostet. 100 Milliarden werden bis zum Laufzeit-Ende der Akw noch hinzukommen. Auch der Ausstieg ist nicht gratis: 700 Millionen Euro kostet der Abriss pro Akw - und Strom wird teurer.
Subventionen und Fördermittel für Aus- und Aufbau der Kernenergie werden von der Bundesregierung traditionell nicht ausgewiesen. Deshalb gibt es bis heute in Deutschland nur eine einzige zusammenhängende Untersuchung über die staatliche Förderung der Atomenergie. Angefertigt wurde sie im Auftrag von Greenpeace vom "Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft" (FÖS), einem der europaweit renommiertesten Umwelt-Think-Tanks.
204 Milliarden Euro Subventionen
Die von der FÖS-Studie ermittelte Summe von 203,6 Milliarden Euro an Förderung zwischen 1950 und 2010 setzt sich zusammen aus direkten Fördermitteln, Steuervergünstigungen und staatlichen Regelungen, die Kernkraftwerksbetreiber begünstigen. So gab der Bund zwischen 1950 und 2010 rund 55 Milliarden Euro für die Erforschung der Kernenergie aus und übernahm die Kosten für Forschungsreaktoren und Forschungsprojekte, deren Ergebnisse direkt der Atomindustrie zugute kamen.
Die Kosten der Endlager
Nur 1,9 Millionen Euro haben die Akw-Betreiber seit 1976 (vorher war die Entsorgung - weil zu Forschungszwecken - kostenlos) an Müllgebühren für das Versuchslager Asse bezahlt. Die Sanierung des maroden Salzbergwerks wird nun vier bis fünf Milliarden Euro kosten. Die Atomindustrie beteiligt sich mit 8,5 Millionen Euro - den Restanteil von gut 99,79 Prozent der Kosten trägt der Staat, mit anderen Worten: der Steuerzahler.
Das gleiche Bild in Morsleben, dem ehemaligen Endlager der DDR: Rund 85 Millionen Euro haben die Akw-Betreiber Westdeutschlands für die Einlagerung ihrer Abfälle (40 Prozent der Abfälle in Morsleben stammen inzwischen aus westdeutschen Akws) bezahlt. Die Sanierung des einsturzgefährdeten Lagers kommt nun den Steuerzahler mit mindestens 2,2 Milliarden Euro teuer zu stehen.
Die Bundesländer steuerten ihrerseits mehr als fünf Milliarden Euro bei. Die Stillegung der ostdeutschen Akw - nicht der Abriss, der kostet noch viel mehr - schlug mit gut drei Milliarden zu Buche. Die Sanierung der Umweltschäden durch den Urantagebau der ostdeutschen Wismut AG kostete 6,5 Milliarden, der Betrieb der Endlager noch einmal fast 1,5 Milliarden. Zusammen mit den Beiträgen für internationale Organisationen und Forschungsvorhaben sowie Bürgschaften summmierten sich diese Finanzhilfen auf mehr als 82,4 Milliarden Euro.
Traum-Geschäft Rückbau-Rückstellung
Eine noch viel größere Subvention stellen aber laut FÖS-Studie die Steuervergünstigungen für die Betreiber und Erbauer von Kernkraftwerken dar. Die größte einzelne Vergünstigung ist die so genannte Rückbau-Rücklage, deren Subventionswert FÖS mit 68,3 Milliarden Euro angibt. Die Betreiber von Akw sind verpflichtet, während der Laufzeit eines Kernkraftwerks eine Rücklage für dessen Abriss am Ende der Laufzeit zu bilden. Dies umfasst Stillegung, Sanierung, Abriss und Endlagerung der Abfälle bis am Schluss eine grüne Wiese wächst, wo einst ein Akw stand.
Jahrzehntelang von der Steuer befreit
Bis 2006 galt in Deutschland noch ein weiteres Privileg für die Betreiber von Kernkraftwerken: Sie waren im Gegensatz zu anderen Stromerzeugern von Steuerzahlungen auf ihren Brennstoff befreit, während auf Gas und Öl bei der Stromproduktion Steuern anfielen. Diesen jahrzehntelangen Steuervorteil, der 2006 durch den Wegfall der Steuern auf Gas und Öl egalisiert wurde, beziffert die FÖS-Studie auf 44,2 Milliarden Euro.
Diese Rücklage aber dürfen die Akw-Betreiber in ihrem eigenen Vermögen bilden, sie müssen sie nicht in einen Stilllegungsfonds einzahlen, wie beispielweise in der Schweiz. Die Rücklage und die Erträge daraus sind steuerfrei, weshalb es zum Beispiel für einen Akw-Betreiber attraktiv sein kann, Gewinne in die Rückbau-Rücklage zu verschieben, um Steuern zu verkürzen.
Mehr noch: Darf die Rücklage auch im Vermögen des betreffenden Unternehmens zu Investitionen eingesetzt werden, was auch die Liquidität von deutschen Energieversorgern erklärt, die beispielsweise spanische Gasversorger für bis zu 30 Milliarden Euro in bar aufkaufen wollten.
Stilllegung treibt Preis an der Strombörse
Die Stilllegung deutscher Atomkraftwerke - ganz gleich ob nur für ein paar Monate oder für immer - wird jedoch auch die Verbraucher ganz direkt Geld kosten. Denn der Großhandelspreis für Strom an der Leipziger Strombörse EEX könnte bis 2012 um bis zu 20 Prozent steigen. Dies liegt an der Methode der Strompreisfindung an der Börse, wo das teuerste Kraftwerk das gerade noch zur Deckung der Stromversorgung benötigt wird, den Strompreis für alle bestimmt. Durch den Wegfall des Stroms aus Kernkraftwerken, der an der Börse zu den billigsten gehört, werden mehr teure Kraftwerke zugeschaltet werden müssen.
Achtung: Keine Haftpflicht!
Betreiber von Kernkraftwerken müssen sich gegen Schäden durch einen Unfall versichern. Aber nur bis zu einer Höhe von 2,5 Milliarden Euro pro Akw - und auch das nicht vollständig: Nur 256 Millionen Euro davon sind durch eine Haftpflichtversicherung abgedeckt. Die Prämie dafür beträgt derzeit für alle 17 Atomkraftwerke 13,3 Millionen Euro pro Jahr bzw. 0,008 Cent pro Kilowattstunde. Die restliche Deckungsvorsorge von 2,244 Milliarden Euro leisten die deutschen Kernkraftwerksbetreiber durch gegenseitige Garantieerklärungen. Tritt der Super-GAU ein, dessen Schadenssumme Studien der Bundesregierung auf rund 5.000 Milliarden-Euro beziffern, haftet der Steuerzahler.
Außerdem fehlen den Betreibern mit der Abschaltung der Akw Emissionsrechte für CO2. Diese Emissionsrechte bekommen sie von der Bundesregierung geschenkt und können sie frei handeln. Da Kernkraftwerke im engeren Sinne (ohne die Kosten für Urangewinnung, Anreicherung und Transport) kein CO2 produzieren, konnten die Betreiber diese Zertifikate für bares Geld verkaufen. Eine Subvention, deren Wert die FÖS-Studie auf 8,7 Milliarden Euro schätzt.
Abrisskosten bis fünf Milliarden Euro
Doch auch mit der Stilllegung eines Akw hören die Kosten nicht auf: Das Kraftwerk muss rückgebaut, vulgo abgerissen werden. Die Erfahrungen mit dem Abriss von Akw sind jedoch noch gering. Drei Projekte laufen derzeit: Der Abriss des Akw Mülheim-Kärlich und der Abriss der ostdeutschen Akw Greifswald und Rheinsberg. Seit 2004 wird der nur 16 Monate in Betrieb befindliche Reaktor in Mülheim-Kärlich abgerissen. Erst im Jahr 2020, so schätzen Ingenieure, wird dort, wo das Kraftwerk stand, wieder grüne Wiese sein. Der Abriss hat dann nach heutigen Schätzungen 700 Millionen Euro verschlungen und 3.000 Tonnen strahlenden Abfalls produziert, der endgelagert werden muss.
Der Atom-Deal
Die Bundesregierung hat mit den Energieversorgern (EVU) am 6. September 2010 einen Vertrag über die Laufzeitverlängerung für die deutschen Akw und die Teilung der daraus erwachsenden Gewinne geschlossen. Von einer Förderung erneuerbarer Energien seitens der Akw-Betreiber ist darin allerdings nicht die Rede. Und die Höhe der Brennelementesteuer wurde gedeckelt, damit auch künftige Regierungen nicht an der Steuerschraube drehen können. Lesen Sie hier im Originalvertrag selbst nach: Vertrag zwischen Bundesregierung und EVU
Noch viel teurer kommt allerdings der Abriss der ostdeutschen Akw. In Greifswald soll der 1995 begonnene Abriss schon 2012 den Zustand "grüne Wiese" erreicht haben. Die Kosten sind unklar. Sie wurden zu Beginn der Arbeiten auf drei bis fünf Milliarden Euro geschätzt. Allerdings verlautete 2010, dass es auch noch teurer werden könnte. Für das mit einer Leistung von 80 Megawatt nur sehr kleine Akw Rheinsberg belaufen sich die Abbruchkosten schon auf 400 Millionen Euro. Das Reaktorgebäude selbst muss jedoch noch 30 Jahre stehen bleiben. Es ist stark mit radioaktivem Cobalt 60 kontaminiert und wird noch der nächsten Generation als strahlende Ruine bleiben.
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