Autor: Rolf MützenichElvis lebt
Krude Verschwörungstheorien gab es zwar schon immer, doch jetzt werden es immer mehr. Mittlerweile mischen sogar ganze Staaten dabei mit.
Sie fantasieren von der Herrschaft des „jüdischen Finanzkapitals“, Außerirdischen in Roswell, den Protokollen der Weisen von Zion und natürlich von Freimaurern und Illuminaten. Die Anhänger von Verschwörungstheorien kommen von rechts oder links – und werden immer mehr. Für (meist antiwestliche) Verschwörungstheorien und Demokratieverachtung sind zahlreiche Menschen durchaus empfänglich. So meint mehr als ein Drittel der Amerikaner, dass ihre Regierung ihnen die Wahrheit über 9/11 vorenthalte. Ein Drittel aller Briten vermutet dagegen, Prinzessin Diana sei nicht durch einen Autounfall sondern einen Mordauftrag der Queen ums Leben gekommen. Die Mondlandung wurde in einem Hollywoodstudio produziert und Elvis lebt. Dafür ist Paul McCartney in Wahrheit schon lange tot. Königin Elisabeth ist ein Reptil aus dem All und Teil einer geheimen Weltregierung.
Teil des Syndroms: Die den Verschwörungstheoretikern eigene Selbsteinschätzung als kritische Skeptiker. Dabei zählen sie zu den leichtgläubigsten Menschen, die es gibt. Sie glauben alles, so lange es ihrer Meinung entspricht. Nichts befeuert und verbreitet Verschwörungstheorien dabei schneller als das Internet. Denn dort ist jeder „Experte“, egal wie fundiert oder sinnfrei die Argumente auch sein mögen. Ein Blick in die Kommentare einer beliebigen Zeitungsseite – ja, sogar in die des IPG-Journals – bestätigt das auf‘s Eindrücklichste.
Menschen sind darauf programmiert, Informationen aufzunehmen, die ihre Meinung unterstützen. Die Psychologie nennt das den „Bestätigungsfehler“. Zuerst kommt die Meinung, dann die Beweise. Verschwörungstheorien sind aber auch deshalb so attraktiv, weil unser Gehirn darauf trainiert ist, Muster aus der Masse an Informationen herauszufiltern. Die Theorien bedienen somit ein menschliches Bedürfnis nach einfacher und rascher Orientierung in einer immer komplexeren Welt. Sie verknüpfen das Allernächste mit dem Allerfernsten, die kleinsten Dinge des Alltags mit dem großen Weltgeschehen. Und jedem Ereignis verleihen sie eine unzweifelhafte Bedeutung. Der Zufall ist ausgeschlossen. Alles macht Sinn, auch und gerade das Sinnlose.
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Es ist ein Leichtes, sich über Verschwörungstheorien lustig zu machen. Doch sie sind oft alles andere als harmlos. Die typische Frage der Verschwörungstheoretiker lautet: „Glaubst du an Zufälle?“. Denn Zufälle gibt es nicht. Irgendein Strippenzieher hat die Fäden in der Hand. Es geht immer um alles, meist um die Weltherrschaft oder zumindest um die „Vorherrschaft über den eurasischen Kontinent“. Für jedes Übel dieser Welt lassen sich Schuldige finden. Dabei neigen Verschwörungstheorien immer schon zum Antisemitismus. „Sie brauchen einen Feind, der überall ist, anpassungsfähig und im Besitz von Mächten, die an jeden Ort vordringen können: Geld und Ideen. Der Inbegriff dieses Feindes ist der Jude, mal als Bankier, dann als Intellektueller.“
Bereits im Mittelalter waren es bekanntlich Juden, die Brunnen vergifteten. Die Französische Revolution war ein Werk der Juden und Freimaurer, die Nazis fantasierten von einer „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ und in den USA wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit lang der Kommunismus für ein jüdisches Komplott gehalten – ebenso wie in der Sowjetunion der Kosmopolitismus.
Schwierig wird die Sache auch, weil Verschwörungen natürlich durchaus existieren: Preisabsprachen, Schweigekartelle, Mordkomplotte und Folterkeller gibt es ja nicht nur in der Fantasie. Im Gegenteil: Die Realität stellt oft jede Verschwörungstheorie in den Schatten. Beispiele gibt es zuhauf. Auch hinter der jüngsten Verschwörungstheorie steckt ein wahrer Kern. Demnach gibt es eine „Ölpreis-Verschwörung“ zwischen Amerikanern und Saudis. Durch das amerikanische Fracking sinkt der Ölpreis, gleichzeitig pumpt Saudi-Arabien Öl in die Märkte. Verbündet sich Riad mit Washington, um Iran oder Russland in die Knie zu zwingen? Oder fördert Saudi-Arabien wie verrückt, um mit niedrigen Preisen den Ölboom in den Vereinigten Staaten abzuwürgen? Oder sind die Gründe profaner und Saudi-Arabien spekuliert schlicht darauf, dass seine Konkurrenten mit hohen Förderkosten vom Markt verschwinden? Es darf spekuliert werden.
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Quelle und gesamter Artikel: http://www.ipg-journal.de/kolumne/artik ... -lebt-706/